Handlungskomplex
Inhaltsverzeichnis
Definition
Handlungskomplexe sind die Zusammenfassung aller um eine Haupttechnik oder eine zu lösende Hauptaufgabe herum relevanten Handlungen. Insbesondere fallen hierunter die vor- und nachbereitenden Techniken für die Haupttechnik, sowie Alternativen für den Fall, dass der Gegner die Haupttechnik nicht zulässt. Ferner betrachtet man die möglichen Gegentechniken. Ein Handlungskomplex besteht aus:
- Vorbereitende Handlungen
- taktische Handlungen
- vorbereitende Nebentechniken
- Haupttechnik
- Nachbereitende Handlungen
- nachbereitende Nebentechniken
- Weiterführungen
- der Haupttechnik
- der Nebentechniken
- Gegentechniken
- zur Haupttechnik
- zu den Nebentechniken
Beispiele aus dem Wettkampfbereich für die einzelnen Bestandteile könnten z.B. sein:
- taktische Handlungen: Griff herstellen nach Atemitechnik
- vorbereitende Nebentechniken: Angesetzte Kleine Innensichel zwingt Gegner, den rechten Fuß zurückzuziehen
- Haupttechnik: Schrittstellungshüftwurf
- Weiterführungen der Haupttechnik: Gegner bringt Hüfte vor – Talfallzug
- Gegentechniken zur Haupttechnik: Ausheber
- nachbereitende Nebentechniken: Übergang in die Haltetechnik in seitlicher Position
- Weiterführungen zur nachbereitenden Nebentechnik: Gegner dreht sich auf den Bauch – Armstreckhebel
- Gegentechniken zur Haupttechnik: Seitstreckhebel
Ziele des Trainings von Handlungskomplexen
Das Training von Handlungskomplexen soll es dem Kämpfer ermöglichen, seinen Gegner geplant in bestimmte für ihn günstige Kampfsituationen zu bringen und ihn so zu überwältigen. Für mögliche Gegenreaktionen gibt es ebenfalls Szenarien, wie damit umzugehen ist. Er reagiert somit nicht nur spontan mit Einzeltechniken auf im Kampf entstehende Situationen, sondern erzwingt das Vorkommen für ihn günstiger Situationen und nutzt diese. Die Betrachtung und das Training von Techniken und Handlungen in Handlungskomplexen wurde für das Wettkampftraining entwickelt, zunächst im Bereich des Judo, und wenig später auch im Ju-Jutsu eingeführt. Ziel war es, die im Wettkampf erfolgreichen Spezialtechniken noch effektiver zu trainieren. Hierbei wird nicht nur die Haupttechnik (z.B. der Spezialwurf des Athleten) selber, sondern auch der Weg dorthin (z.B. das Erarbeiten eines bestimmten Griffes und einer optimalen Stellung des Gegners), Handlungsalternativen rund um die Spezialtechnik (z.B. Weiterführung mit einem anderen Wurf, wenn der Gegner die Haupttechnik verhindert) und nachbereitende Techniken (z.B. Übergang in den Bodenkampf) trainiert. Das erklärte Ziel - aktiv Situationen schaffen zu können, in denen mit einer sehr gut beherrschten Handlung eine hohe Durchsetzungswahrscheinlichkeit erreicht wird, sowie Handlungsalternativen zu haben - kann nicht nur auf den Wettkampf angewandt werden. In der Selbstverteidigung, in der es nicht "nur" um Medaillen geht, sondern möglicherweise um Leib und Leben, können Handlungskomplexe einen noch höheren Nutzen bringen.
Handlungskomplexe im Breitensport
Im Prüfungsprogramm Ju-Jutsu deckt das Prüfungsfach Komplexaufgaben zumindest einen Teil der Handlungskomplexe ab. Nach im Umfang vereinfachten Formen im Kyu-Bereich (nur Fausttechniken, nur Wurftechniken, nur Atemitechniken, nur Atemi und Wurftechniken) verlangen sie bei den Prüfungen zum 1. bis 3. Dan eine Wurftechnik als Haupthandlung mit eine Vorbereitung durch Atemitechniken und einer Nachbereitung durch Sicherung am Boden. Im klassischen selbstverteidigungsorientierten Kampfsporttraining kommen bereits alle Bestandteile von Handlungskomplexen vor. Jedoch werden sie dort in der Regel nicht vollständig zu einem Handlungskomplex zusammengefügt und als solches im Zusammenhang trainiert. Die übliche Betrachtungsweise ist Angriff - Abwehr - Haupttechnik - Kontrolle oder Sicherung. Weiterführungs- und Gegentechniken werden meistens um die Haupttechnik herum gesondert trainiert. Ferner geht im SV-orientierten Training die erste Aktion vom Angreifer aus, nicht vom Verteidiger. Es folgt eine auf den Angriff bezogene Abwehrtechnik (Ausweichen, Blocken, Sprengen usw.), erst danach übernimmt der Verteidiger die aktive Rolle. Ab diesem Punkt können demzufolge Handlungskomplexe einsetzen. Ein Beispiel für einen Handlungskomplex im SV-Bereich könnte z.B. sein:
- taktische Handlungen: aus dem Dreierkontakt einen Griff suchen
- vorbereitende Nebentechniken: Schocken, tiefes Gleichgewichtbrechen nach vorne
- Haupttechnik: Drehstreckhebel
- nachbereitende Nebentechniken: Sicherung am Boden mit Kreuzfesselgriff
- Gegentechniken zur Haupttechnik:
- Arm beugen - Armbeugehebel
- vor dem Drehstreckhebel wegtauchen - Ausheber
- Weiterführungen der Haupttechnik:
- Gegner beugt Arm - Kreuzfesselgriff im Stand
- Gegner taucht vor dem Drehstreckhebel weg - Knieschlag, Genickdrehbeugehebel
- Gegentechniken zur nachbereitenden Nebentechnik:
- Arm strecken - Rausrollen, Handgelenkhebel
- Auf den Rücken drehen - Ellenbogenschlag
- Weiterführungen der nachbereitenden Nebentechnik:
- Gegner streckt Arm - Armstreckhebel am Boden
- Gegner dreht sich auf den Rücken - Haltetechnik in Kreuzposition in Verbindung mit Armbeugehebel
Notation
Für die Dokumentation von Handlungskomplexen gibt es mehrere Vorschläge. Im Judo ist z.B. eine Notation von Leo Held bekannt. Für das Fighting im DJJV hat Steffen Heckele die folgende Darstellung und eingeführt:
Wenn man auch eine konkrete Angriffssituation mit einbezieht, könnte eine konkrete Umsetzung für den SV-Bereich wie folgt aussehen:
In vielen Fällen betrachtet man als Haupttechnik die, mit der der Gegner in die Bodenlage verbracht wird. Dies muss jedoch nicht notwendigerweise so sein. Theoretisch kann jede Ju-Jutsu- oder Jiu-Jitsu-Technik als Haupttechnik betrachtet werden. Da es jedoch vom Aufwand her kaum möglich ist, jede Technik als Handlungskomplex zu erarbeiten, wählt man die für ein bestimmtes Ziel wichtigsten Handlungen. Ziele in der Selbstverteidigung werden je nach Garantenstellung des Betroffenen unterschiedlich sein. Während es den meisten reichen dürfte, einen Angriff soweit abzuwehren, dass die Flucht möglich wird, muss eine Ordnungskraft oder ein Polizist auch einen Gegner festlegen und festnehmen können. Wichtig ist bei der Bearbeitung der jeweiligen Handlungskomplexe, dass diese individuell zielgerichtet die möglichen Handlungsstränge beschreiben und zum Vorteil des Verteidigers lösen.
Handlungskomplexe im DJJV Technikum
Das DJJV Technikum als Techniksammlung des DJJV im Internet bietet auch Beispiele zu Handlungskomplexen. Allerdings sind diese dort nicht direkt in einer Seite ähnlich dem obigen Schema abgelegt, weil das DJJV Technikum viele verschiedene Sichtweisen gleichzeitig eröffnen soll. Man findet die Einzeltechniken auf jeweils eigenen Technikseiten. Von dort aus kann man per Hyperlink zu möglichen Kombinationen, Weiterführungs- und Gegentechniken zu dieser Technik springen. Während auf der Technikseite (Haupttechnik im Sinne eines Handlungskomplexes) die jeweils betrachtete Technik im Vordergrund steht, liefern die Kombinationen Beispiele für die Anwendung der Technik im Zusammenhang mit Angriff, Abwehr (vorbereitende Nebentechniken) und Folgetechniken (nachbereitende Nebentechniken). Gegentechniken zeigen mögliche Konter, ebenso wie Weiterführungstechniken mögliche Reaktionen auf die Verhinderung der Haupttechnik bzw. Konterversuche beschreiben. Will man Weiterführungs- und Gegentechniken zu Nebentechniken finden, so navigiert man zunächst zur Technikseite der Nebentechnik und folgt dort dann jeweiligen Hyperlinks. Ein Vorteil dieser Sichtweise ist, dass je nach Bedarf jede Technik als Haupttechnik betrachtet werden kann, da es zu (fast) jeder Technik Kombinationen (sprich vor- und nachbereitende Nebentechniken) sowie Weiterführungs- und Gegentechniken gibt.