Ju-Jutsu meets Theater - Theater in Selbstverteidigungskursen

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Sowohl die Frauen-Selbstverteidigung als auch die Kinder- und Jugendselbstverteidigung arbeiten mit dem sogenannten (umgekehrten) Ampelsystem: grün für Prävention, gelb für Selbstbehauptung und rot für Selbstverteidigung als letzte Alternative.

Die klassischen Ju-Jutsu-Techniken finden sich dabei nur im letzten, roten Teil wieder. In dem Teil, den es im Grunde immer zu vermeiden gilt. In den Bereichen Prävention und Selbstbehauptung bedienen sich beide Programme anderer Einflüsse. Viele davon kommen aus dem Bereich des Theaters.

Rollenspiele

Rollenspiele im Selbstverteidigungskurs sollen den Teilnehmer(innen) in einem geschützten Rahmen helfen, sich mit bestimmten bedrohlichen Situationen sowohl gedanklich als auch körperlich auseinanderzusetzen. Hierzu gibt es zwei Methoden:

Methode 1 – Die Teilnehmer(innen) spielen selbst

Die Teilnehmer(innen) werden in irgendeiner Form von einem Bad Guy belästigt, bedroht oder angegriffen. Den Bad Guy spielt dabei wahlweise der Kursleiter oder ein anderer Teilnehmer. Der Vorteil dieser Methode ist, dass man beim 'Opfer' ein hohes Stresslevel erzeugen kann und somit verhältnismäßig realitätsnah üben wird. Der Nachteil (gerade in Frauen-Selbstverteidigungskursen aber auch sonst) ist, dass die gespielten Situationen in Teilnehmer(innen) alte Traumata aufreißen können, von denen sie unter Umständen zuvor nichts gewusst haben oder die sie dem Kursleiter bewusst verschwiegen haben.

Methode 2 – Die Teilnehmer(innen) schauen zu

Eine andere Möglichkeit bietet das Forum-Theater. Hier spielen zwei Schauspieler(innen) eine mögliche Eskalations-Szene. Die Szene beginnt beginnt harmlos und schaukelt sich hoch bis zum physischen Angriff. Die Zuschauer(innen) schauen sich die Szene an und dürfen dann Vorschläge machen, wie sich das 'Opfer' an bestimmten Punkten hätte anders verhalten können. Die Schauspieler(innen) nehmen die Vorschläge auf und improvisieren die Szene weiter. So können die Zuschauer sehen, ob ihr Vorschlag sinnvoll war oder nicht.

Die Vorteile dieser Methode des Rollenspiels sind, dass eine Szene sehr genau analysiert werden kann und dass die Teilnehmer(innen) aus einer sicheren Distanz zuschauen können und nicht persönlich angegriffen werden. Der Nachteil ergibt sich daraus aber direkt: die Zuschauer(innen) erleben den Angriff nicht am eigenen Leib. Außerdem erfordert diese Methode eine große Vorarbeit.

Eine dritte Möglichkeit wäre beide Methoden zu verbinden. Die Schauspieler(innen) spielen zuerst eine Szene mit allen Vorschlägen durch. Danach verlässt der Darsteller, welcher das 'Opfer' spielte, die Bühne und ein Teilnehmer / eine Teilnehmerin nimmt seinen Platz ein. Hier ist es möglich die Situation zuerst zu analysieren und danach auch selbst in die Situation einzusteigen.

Tipps und Anregungen zum Rollenspiel

Methode 1: Die Teilnehmer spielen selbst

  • Der Raum

Nutze alles was dir zur Verfügung steht um den Raum, in dem das Rollenspiel statt findet, möglichst detailliert zu gestalten. Wo sind die Grenzen des Raumes? Wo kann man sitzen? Gibt es einen Tisch? Liegt auf dem Boden (auf dem Tisch, …) etwas herum, was man vielleicht als Waffe verwenden kann? Wo sind Türen, Ausgänge, sichere Häfen?

  • Licht und Dunkelheit

Versuche mit verschiedenen Lichtquellen eine möglichst realistische Atmosphäre zu schaffen. Bin ich im dunklen Park? Gibt es Straßenlampen? Findet die Situation am Tag oder bei Nacht statt? Dunkelheit stresst, aber sie macht das Licht zur Waffe gegen Angreifer. So kann ich mein Gegenüber mit einer Taschenlampe blenden und mir so Zeit verschaffen.

  • Der Bad Guy

Jeder im Ju-Jutsu weiß: nur, wenn mein Partner mich realistisch angreift, kann ich mich entsprechend verteidigen. Dasselbe gilt für Rollenspiele. Daher lohnt es sich, sich mit dem Bad Guy intensiver auseinander zu setzen und diesen richtig zu üben. Es empfiehlt sich nur dann, den Bad Guy von einem Teilnehmer spielen zu lassen, wenn man überzeugt davon ist, dass dieser die Rolle auch verkörpern kann (siehe Kapitel Die Bad-Guy-Ausbildung in der AG-Selbstverteidigung).

  • Kleider machen Leute…

…und erschweren unter Umständen die Selbstverteidigung. Warum nicht einmal eine Szene im engen Partykleid durchspielen? Oder im Anzug? Mit Stöckelschuhen oder in Badeschlappen? Das Kostüm hilft vielen Laiendarstellern sehr, in ihre Rollen zu finden und kann – übertragen auf die Frauen-Selbstverteidigung – zu mehr Realitätsnähe führen oder aber dem ganzen einen verspielteren Charakter geben (zum Lockern der Atmosphäre). Hierfür kann der Trainer einen Kostümkoffer mitbringen, der ein paar charakteristische Kostüme beinhaltet.

  • Wahrnehmung und Beweglichkeit

Mit Hilfe von verschiedenen Brillen oder bestimmten Anzügen kann die Wahrnehmung bzw. die Beweglichkeit deutlich eingeschränkt werden. Man kann die Teilnehmer(innen) aber auch durch schnelles Drehen aus dem Gleichgewicht bringen, sie durch laute Musik oder eine Flut von Beschimpfungen stressen oder sie vor der Übung körperlich auspowern.

  • Das geeignete Mittel

Es kann Spaß machen, die Szenarien bis ins kleinste Detail zu planen. Mit Requisiten, Licht, Kostümen, etc. zu arbeiten. Man muss allerdings immer einen Blick auf die Gruppe haben und entscheiden, was Sinn macht und was nicht.

  • Feedback und Zuschauer

Meiner Erfahrung nach kann es sehr fruchtbar sein, wenn die anderen Gruppenteilnehmer(innen) sich die Szenen ansehen und dem 'Opfer' danach ein Feedback geben. Gegebenenfalls darf derselbe dann die gleiche Szene noch einmal spielen und versuchen, das Gehörte umzusetzen.

Methode 2: Die Teilnehmer schauen zu

  • Szenen einstudieren

Die Ausgangsszenen müssen bei dieser Methode sehr genau ausgearbeitet sein. Sie müssen alle Phasen des umgekehrten Ampelsystems durchlaufen, sodass die Zuschauer an allen Punkten einhaken können.

  • Vorschläge vorweg nehmen

Auch wenn bei dieser Methode die Zuschauer Spiel- bzw. Lösungsvorschläge machen dürfen, sollte es für die Schauspieler keine (bzw. so wenig wie möglich) Überraschungen geben. Das heißt, dass jede Szene bereits im Vorfeld sehr genau analysiert und abgeklopft sein muss. Alle möglichen Szenenverläufe sollten von den Schauspielern geprobt werden.

  • Regie

Die Szenen sollten von einem Regisseur inszeniert werden, der selbst nicht mitspielt. Der Blick von außen ist bei dieser Methode unerlässlich.

  • Moderation und Schauspieler

Neben den 2-3 Darsteller(innen) sollte es immer noch einen Moderator / eine Moderatorin geben (z.B. der Regisseur). In Selbstverteidigungskursen sollte dies der Trainer sein. Die Darsteller können Ju-Jutsu-Ka aus dem Verein sein oder (besser) ausgebildete Schauspieler. Es gibt auch immer wieder Gruppen, die mit derartigen 'Stücken' auf Tour gehen und die man buchen kann.

Die Bad-Guy-Ausbildung in der AG-Selbstverteidigung

How to be a bad guy

Die AG-Selbstverteidigung setzt sich mit allem rund um das Thema 'Reale Gewalt' auseinander und wurde 2010 im DJJV gegründet um das Selbstverteidigungstraining im Ju-Jutsu und Jiu-Jitsu zu verbessern. Im Zuge dessen fanden seit der Gründung schon zwei Lehrgänge zum Thema „How to be a good bad guy“ statt.

Unter der Leitung des Theaterpädagogen Peter Schmuttermaier wurden in diesen Lehrgängen interessierte Ju-Jutsu-Ka im 'Böse-Sein' trainiert. Durch diese Einheiten haben sich, laut Carsten Zimmermann, die Szenarientrainingseinheiten qualitativ verbessert und die Bad-Guys sind glaubwürdiger geworden. „Der Blick muss sich verändern, wenn man angreift. Man muss merken, dass der Angreifer es wirklich ernst meint.“, meinte der Leiter der AG-Selbstverteidigung zu mir, im Gespräch über die Schauspiel-Schulung der Bad-Guys. Auch war er der Meinung, dass möglichst viele Vereinstrainer einmal eine solche Schulung durchlaufen sollten, um im eigenen Verein den Selbstver-teidigungsaspekt des Ju-Jutsus realistischer vermitteln zu können.

Übungen aus der Bad-Guy-Ausbildung

Peter Schmuttermaier war so freundlich mir zwei seiner Übungen, mit denen er die in seiner Bad-Guy-Ausbildung gearbeitet hat, zu verraten:

Der Beschützer Jeder Teilnehmer sucht sich irgendeine Person im Raum, die es zu schützen gilt und eine andere, die einen "Bösen" darstellt. Die Auswahl bleibt geheim. Ziel für jeden ist es, immer zwischen dem Bösen und der zu beschützenden Person zu stehen – man muss also immer zwei Personen im Blick haben. Da jeder Teilnehmer andere Leute ausgewählt hat, entsteht in dieser Übung viel Dynamik, sodass sie sich auch gut als Aufwärmspiel eignet.

Fünf Stufen - Teil I: Tempi Alle Teilnehmer laufen kreuz und quer durch den Raum. Nun werden fünf gemeinsame Tempi etabliert und jeweils mit einem Bild versehen. Zum Beispiel:

  1. Ihr schlendert gemütlich durch den Park.
  2. Ihr geht normal aber ohne zu trödeln durch die Stadt
  3. Ihr geht zügig zum Ju-Jutsu-Training, denn ihr wollt nicht zu spät kommen und Liegestützen machen müssen.
  4. Ihr habt gleich einen wichtigen Termin und seit schon etwas knapp dran.
  5. Ihr müsst dringend auf den Bus und dieser fährt in zwei Minuten ab.

Wichtig ist dabei, dass die ganze Gruppe immer in etwa gleich schnell ist. Der Trainer sagt nun immer eine Zahl zwischen 1 und 5 und die Gruppe nimmt das entsprechende Tempo an.

Fünf Stufen - Teil II: Aggressionszustände Im zweiten Teil dieser Übung wird das gelernte auf Aggressionszustände übertragen. Auch hier wird jede Zahl wieder mit einem inneren Bild verknüpft. Zum Beispiel:

  1. Ihr seid genervt, weil heute im Job einfach alles anstrengend und ätzend war
  2. Ihr seid ärgerlich, weil der Busfahrer euch gesehen hat, aber trotzdem losgefahren ist
  3. Ihr seid wütend, weil euer Chef euch nach einer langen, anstrengenden Grippe unterstellt, ihr hättet blau gemacht, und euch vor der ganzen Firma öffentlich 'zur Sau' macht.
  4. Ihr seid stinksauer, weil man euch den Rucksack geklaut hat, in dem Tickets fürs Fußball-WM-Finale waren.
  5. Ihr rastet völlig aus, weil ihr seht wie ein Typ mit seinem Einkaufswagen absichtlich gegen euren drei Tage alten Porsche kracht und diesen damit völlig verbeult und zerkratzt.

Bei Aggressionszuständen ist es natürlich viel individueller was jeden Einzelnen in Rage versetzt und unter Umständen muss man dann das Bild für sich dann so umbauen, dass es passend ist. Dann werden aus den Fußball-WM-Tickets vielleicht Eintrittskarten zum ABBA-Konzert und aus dem Porsche eine neue Spiegelreflexkamera mit Zubehör.

Wieder ruft der Trainer nun eine Zahl und die Teilnehmer versuchen direkt über ihr inneres Bild in den Grad der Aggression einzusteigen.

Körpersprache

Einen schlechten Regisseur erkennt man manchmal daran, dass die Schauspieler auf der Bühne sogenanntes Steh-und-Sprech-Theater aufführen. Wie der Name schon sagt, stehen die Darsteller auf der Bühne herum und sagen brav ihren Text auf. Wenn man Pech hat, passiert dies auch noch in monotoner Art und Weise. Was fehlt ist der stimmliche und körperliche Ausdruck.

Laut einer Studie des Amerikaners Albert Mehrabian macht der Inhalt eines Wortes weniger als 10% des Gesamteindrucks aus. Viel wichtiger als das, was man sagt, ist die Art, wie man es sagt: der Tonfall, die Emotion und die Lautstärke machen bereits über 30% des Gesamteindruckes aus. Am entscheidendsten in der Kommunikation ist laut Mehrabian jedoch die Körpersprache, das heißt Haltung, Mimik und Gestik, mit über 50% des Gesamteindruckes. Im Idealfall bilden alle drei Elemente eine Einheit und senden dieselbe Botschaft. Ist dies der Fall sprechen wir davon, dass ein Darsteller, ein Politiker oder ein Ju-Jutsu-Trainer authentisch ist.

Die Haltung

Die optimale Körperhaltung in der gelben Phase, also der Selbstbehauptungsphase, ist aufrecht, selbstbewusst und möglichst entspannt. Ziel dieser Phase ist in den meisten Fällen die Deeskalation. Und da in der Kommunikation Sender und Empfänger sich in ihren Bewegungsmustern häufig angleichen, kann eine entspannte Haltung auch zur Entspannung des Gegenübers und somit der ganzen Situation führen.

Zu vermeiden dagegen ist an dieser Stelle die sogenannte 'Opferhaltung'. Sie zeichnet sich durch Anspannungen in Schultern, Händen und Gesichtsmuskulatur, durch einen gesenkten Blick und eine gebeugte Haltung sowie durch hektische Bewegungen und nervöse Handlungen (Fingernägelkauen, mit den Haaren spielen, Finger verknoten, etc.) aus.

Die Mimik

Genau wie der restliche Körper sollte auch das Gesicht möglichst entspannt sein. Vor allem die Kiefermuskulatur neigt zu großer Anspannung. Ist man sich dessen bewusst, kann man im Zweifelsfall darauf achten und versuchen, den Kiefer aktiv zu entspannen.

Die wichtigste Rolle spielt an dieser Stelle der Blick. Die Augen senden ununterbrochen nonverbale Signale aus, die das Gegenüber empfängt und unterbewusst auswertet. Der Blick sollte ruhig (nicht starr) und offen sein. In Stresssituationen neigt man zum sogenannten Tunnelblick – man starrt den Gegner an und bekommt nicht mehr mit, was sonst um einen herum geschieht.

In Situationen, welche zu eskalieren drohen, gilt es abzuspüren, wie viel Blickkontakt sinnvoll ist. Ein ununterbrochenes Anstarren kann provozierend wirken – ein demonstratives Wegsehen desinteressiert. Zudem sollte in kritischen Situationen auch die Umgebung unauffällig wahrgenommen und auf mögliche weitere Gefahrenquellen oder Fluchtmöglichkeiten analysiert werden.

Die Gestik

Wildes Gestikulieren ist nur dann sinnvoll, wenn das Ziel nicht die Deeskalation sondern die Einschüchterung des Gegenübers ist. Generell gilt aber, dass die Hände nicht in den Hosentaschen stecken, sondern sich in Höhe des Oberkörpers befinden sollten.

Übungen zur Körpersprache

  • Give and take

Zwei Partner stehen sich gegenüber. Der eine Partner beginnt und macht eine große Bewegung in der möglichst der ganze Körper involviert ist. Ist die Bewegung beendet steht er neutral da. Dann macht der zweite Partner eine große Bewegung, mit der er auf die erste Bewegung reagiert. Danach ist wieder der erste an der Reihe. So entsteht ein Gespräch ohne Worte, dafür mit jeder Menge Körpersprache.

  • Standbilder

Die Teilnehmer bauen zusammen Standbilder zu verschiedenen Themen, zum Beispiel Ohnmacht, Schuld, Wut, Hass, Freude, Sieg, Superhelden. Dafür stellen sich alle Teilnehmer/innen auf eine Linie. Nun darf eine Person nach der anderen auf die Bühne gehen und sich zum jeweiligen Thema positionieren. Hat man eine Haltung gefunden, darf man sich nicht mehr bewegen, bis das Standbild aufgelöst wird. Der Kursleiter kann die Standbilder auch fotografieren, sodass danach alle das Ergebnis sehen können.

  • Emotionen darstellen

Ein Teilnehmer bekommt eine Neutralmaske und soll nun ohne Sprache und ohne Mimik eine bestimmte, vom Kursleiter vorgegebene Emotion darstellen. Die anderen Teilnehmer/innen dürfen raten, um welche Emotion es sich handelt. Wer die Emotion errät darf als nächster auf die Bühne.

  • Stopp (1)

Zwei Partner stellen sich mit einigem Abstand gegenüber. Der eine Partner geht nun langsam auf den anderen Partner zu, bis dieser ihm mit einer starken Bewegung (aber ohne Sprache) zu verstehen gibt, dass er anhalten soll. Nach drei Gängen wird gewechselt. Diese Spiel lässt sich reduzieren auf die Mimik und sogar auf den Blick.

  • Graue Maus vs. Superheld

Der Kursleiter etabliert zwei Figuren. Zum einen die graue Maus (Schultern hochgezogen, Blick gesenkt, eingeschüchtert, Arme verschränkt, flacher Atem) und zum anderen den Superhelden (aufrecht, stark, Brust raus, Schultern zurück, erhobenes Haupt, freundlich, tiefer, freier Atem). Nachdem beide Figuren eingeführt wurden, beginnen alle als graue Mäuse und gehen ängstlich durcheinander. Der Kursleiter geht nun durch die Teilnehmer/innen hindurch und tippt nach und nach jedem auf die Schulter. Wer an der Schulter angetippt wurde, verwandelt sich schlagartig vom grauen Mäuschen in den Superhelden und geht als solcher umher, bis alle verwandelt sind.

Einsatz der Stimme

Auch beim Einsatz der Stimme kommt es darauf an, welches Ziel man in der Selbstbehauptungs-phase verfolgt. Will man deeskalierend wirken, sollte die Stimme ruhig und sicher sein, will man den Gegner einschüchtern, sollte sie laut und kräftig sein. Im Folgenden will ich darauf eingehen, wie Bewegung, Atem und Stimme zusammenwirken, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen.

Der Atem

In Stresssituationen kann es vorkommen, dass einem buchstäblich 'die Luft wegbleibt'. Man erschrickt, schnappt nach Luft und hält diese fest, statt sie wieder auszuatmen. Da die Lungen nun gefüllt sind, kann man auch nicht mehr einatmen und der gesamte Atemfluss kommt ins Stocken. Stellt man dies bei sich fest, ist es wichtig bewusst auszuatmen. Nur wenn der Atemfluss intakt ist, kann man seine Stimme so verwenden, wie es die Situation verlangt. Außerdem entspannt sich automatisch der ganze Körper, wenn die Atemluft wieder fließt.

Eine kraftvolle Sprache benötigt einen tiefen Atem und einen natürlich tiefen Atem bekommt man durch Bewegung. Entsprechend empfiehlt es sich, sich vor Sprachübungen, genau wie für ein Ju-Jutsu-Training, gut aufzuwärmen. Durch die Bewegung kommt der Blutkreislauf in Schwung, der Atem wird tiefer und der Muskeltonus wird arbeitsoptimiert. Dabei ist zu beachten, dass man nicht 'außer Atem kommt', sondern die Luft weiter ruhig in den Bauch strömen lässt. In der Sprache wie im Ju-Jutsu kommt die Kraft aus dem Zentrum.

Die Stimme

Jeder Mensch besitzt seine ganz eigene, natürliche Stimm-Interferenz-Lage, in der die Stimme besonders kraftvoll und authentisch ist. Diese kann man bei sich selbst durch einen einfachen Test herausfinden: man stellt sich ein sehr langweiliges Telefongespräch vor und sagt immer 'Mhm... mhm...'. In dieser entspannten (gelangweilten) Haltung nimmt die Stimme automatisch die eigene Interferenz-Lage ein.

Im Alltag und gerade in Stresssituationen rutscht die Stimme häufig 'hoch' oder bleibt einem 'im Hals stecken'. Dadurch wirkt die Sprache unsicher und unglaubhaft. Oftmals hat man sich auch eine 'zu hohe' oder gequetschte Art zu sprechen angewöhnt und nutzt nur einen Bruchteil des möglichen Stimmvolumens.

Um zu verstehen, was der Stimme Kraft gibt ohne sie anzustrengen oder zu überlasten, ist es wichtig, sich die Bedeutung der Konsonanten beim Sprechen bewusst zu machen. In der Stimmbildung von Sprechern und Schauspielern wird besonderen Wert auf das korrekte Bilden der Konsonanten gelegt, da diese der Sprache den Rahmen geben.

Der Schrei

Ein Schrei ist gebündelte Energie. Man benötigt für einen lauten, kraftvollen Schrei, mit dem man etwas bewirken kann, genauso den ganzen Körper, wie für einen harten Schlag oder Stoß. Zu beachten ist dabei Folgendes: die Füße brauchen einen satten Kontakt zum Boden, der Schwerpunkt ist leicht abgesenkt, die Beine sind angespannt, der Oberkörpers ist in Arbeitsbereitschaft, die Energie kommt aus dem Unterbauch.

Ein kraftvoller Schrei kann einen Gegner einschüchtern oder überraschen, er unterstützt Atemi-Techniken, baut negative Energien ab und gibt einem selbst ein Gefühl von Stärke und Kampfeswillen – allerdings nur, wenn man dabei keine Unsicherheit verspürt.

Das Problem heutzutage ist, dass man normalerweise nicht mehr schreit. Und schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Das Schreien wird dem Kind abgewöhnt und der Erwachsene muss es wieder neu erlernen. Es empfiehlt sich, dies erst einmal im geschützten Rahmen oder noch besser allein auszuprobieren.

Übungen zum Einsatz der Stimme mit Erwachsenen

  • Ho ho ho

Zwei Partner stehen sich gegenüber und legen die Handflächen aneinander. Beide senken den Schwerpunkt leicht ab und strecken nun abwechselnd den rechten und linken Arm nach vorn, während der jeweils andere vom Partner nach hinten gedrückt wird. Bei jedem Strecken, rufen beide Partner ein tiefes 'Ho', bei dem sich die Bauchdecke anspannt. Mit der Zeit spürt man ein Brennen in der Magengegend. Die Übung weckt das 'Feuer' in einem und hilft, tief und kräftig zu atmen. Man sollte die Übung nicht zu lange am Stück machen (Gefahr des Hyperventilierens).

  • KLSFM

Diese Abfolge von Konsonanten unterstützen die Richtung der Sprache (von hinten nach vorn, von oben nach unten) durch ihren natürlichen Sitz im Mundraum. Zudem wird jeder Konsonant mit einer Bewegung und einem inneren Bild unterstützt.

K Zunge, Gaumen Holzhacken mit einer schweren Axt
L Zunge, Zahndamm (oben) Mit beiden Händen Farbe umrühren
S Zunge, Zahndamm (unten) Eine Hand schlängelt sich schnell nach vorn und imitiert eine Schlange
F Unterlippe, Schneidezähne Mit einem großen Besen nach vorne fegen
M Unterlippe, Oberlippe Vor dem Lieblingsessen mit beiden Händen das Tischtuch glattstreichen

Die Konsonanten werden ohne Vokal gesprochen (also nicht [ˈka] sondern nur [ˈk]). Für jeden Konsonant macht man einen Schritt nach vorn und senkt den Schwerpunkt etwas weiter ab. Man versucht alle Konsonanten am Stück zu sprechen, ohne zwischendurch Atem zu schöpfen. Nach dem M stellt man sich gerade hin, legt die Hand auf den Bauch und lässt die Luft passiv einströmen, ohne aktiv zu atmen.

  • Halt. Hebe hurtig…

In der ersten Phase der Übung stellen sich alle Teilnehmer in einen Kreis und legen jeweils die rechte Hand auf den Bauch. Gemeinsam wird folgendes gesprochen:

Ha ha ha… He he he… Hi hi hi… Ho ho ho… Hu hu hu…

Dabei ist darauf zu achten, dass sich die Bauchdecke bei jeder Silbe anspannt und wieder entspannt. In einer zweiten Phase stehen sich zwei Partner mit größtmöglichem Abstand gegenüber, als hätten sie eine gut befahrene Straße zwischen sich, und rufen sich folgenden Text zu:

Halt. Hebe hurtig


hohe Humpen.
Hole Heinrich hierher


hohe Halme.

Beim Sprechen ist darauf zu achten, dass der Satz Sinn macht und das Gegenüber wirklich angesprochen wird. Der Sprecher geht dabei leicht in die Knie und senkt seinen Schwerpunkt ab. Bevor der Sprecher den Text sagt, deutet er mit einer klaren zeigenden Bewegung auf seinen Ansprechpartner. Der Arm bleibt, während der gesamten Übung auf den Partner gerichtet. Es kann damit experimentiert werden, ob man nach jedem Wort neu Luft holen darf oder ob man die ganze Übung mit einem Atem sprechen muss.

Übungen zum Einsatz der Stimme mit Kindern

Selbstverständlich können alle Kinderübungen auch mit Erwachsenen durchgeführt werden. Umgekehrt sind die Erwachsenenübungen für Kinder und Jugendliche ungeeignet.

  • Locken

Einem Teilnehmer werden die Augen verbunden. Alle anderen bilden zwei Mannschaften und jede Mannschaft bestimmt einen Ort im Raum, zu dem sie den Teilnehmer mit den verbundenen Augen locken will. Das einzige Wort was den beiden Mannschaften zur Verfügung steht ist der Name der zu lockenden Person, den sie aber auf unterschiedlichste Art und Weise benutzen können: lockend, schmeichelnd, bestimmend, rufend, etc. Die Person mit den verbundenen Augen geht immer dahin, wo sie sich wohl fühlt und wo eine Person ihren Namen auf besonders ansprechende Art und Weise gesprochen hat. Das Spiel endet, wenn eine der Mannschaften ihr Ziel erreicht hat.

  • Der Cottbuser Postkutscher
Der Cottbuser Postkutscher


putzt den Cottbuser Postkutsch-Kasten
mit der Cottbuser Postkutsch-Kasten-Paste


blitzeblank.

Dieser relativ schwere Zungenbrecher trainiert beim Sprechen die deutliche Artikulation und genaue Gedankenführung.

  • Stopp (2)

Wie bei der Übung für Körpersprache stellen sich zwei Partner mit einigem Abstand gegenüber. Der eine Partner geht wieder langsam auf den anderen Partner zu, bis dieser ihm nun mit einem klaren und deutliche 'Stopp' zu verstehen gibt, dass er anhalten soll. Nach drei Gängen wird gewechselt. Die Teilnehmer sollen verschiedene Sprechvariationen austesten: laut sprechen, leise sprechen, wütend, fröhlich, ängstlich, etc. der Partner hält aber nur an, wenn bei ihm die Botschaft 'Halt jetzt an!' auch wirklich angekommen ist.



  1. Theater in Selbstverteidigungskursen
  2. Theater im Duo-Wettkampf und an Prüfungen
  3. Theater in der Trainer-Ausbildung / Kursleiter-Ausbildung
  4. Theater als Vereinswerbung / Verbandswerbung
  5. Fazit